Berufsinteressentest: Besser mit Beratung

Mehrere hundert Ausbildungsberufe, mehrere tausend Studiengänge: Wie kann man sich in diesem Irrgarten zurecht finden? Seit einigen Monaten kennt die Berufswahl ein neues Hilfsmittel. Der Studieninteressentest, kurz SIT, ist online. Im Selbsttest probiere ich das neue Angebot aus – mit gemischten Ergebnissen.

Vorteile und Nachteile des SIT

Innerhalb weniger Minuten ist der Test online bearbeitet und er kostet nichts. Dies sind selbstverständlich zwei absolute Pluspunkte des neuen Angebots. Dazu kommt, dass es durch die Beteiligung der Hochschulen gelang, über 9000 Studienangebote einzubeziehen. In Windeseile bekommt man die Studiengänge, die zu den eigenen Interessen passen und kann sie weiter filtern. Beispielsweise nach inhaltlicher Übereinstimmung in Prozent oder nach Region. Ein Klick auf ein Fundstück informiert über Zulassungsbeschränkung und Kosten des Studiengangs. Prima.

Theoretischer Vorteil des Tests: Er macht richtig, was jede Berufsorientierung leisten sollte. Ganz breit ansetzen. Aus 9000 mach 50 – oder 100, je nach Filter. Der SIT macht es also umgekehrt, wie die gutmeinende Mama. Meine Mutter riet mir früh zum Bankkaufmann. Eine Idee, die ich schon damals als völlig absurd verwarf. Jeder Berufsinteressentest hätte das auch gezeigt. Ihr Tipp war superschmal: “Werde doch Bankkaufmann!”. Keine Auswahl an Berufen, nein, genau eine Offerte und Ende. Dramatischerweise finden auch heute noch viele junge Leute auf diese Weise “ihren Beruf” – und leiden daran häufig ihr restliches Leben. Breit an die Suche herangehen ist also richtig und theoretisch macht das der SIT fein.

Praktischer Nachteil des Tests: Eine Berufswahl sollte auf mehr als auf einem Berufsinteressentest beruhen. Beispielsweise mag man sich für die schönen Künste interessieren, aber dafür gänzlich ungeeignet sein. Oder man wäre gerne IT-Spezialist, weil das schick und lukrativ ist. Ohne Talent fürs abstrakte Denken ausgestattet wird daraus aber nie etwas werden. Interesse alleine genügt eben nicht. Tatsächlich hätte auch mich das “I” des SIT in die Irre geführt.

Im Selbsttest fällt der SIT durch

Der SIT beruht auf dem Holland-Modell der Berufsorientierung, das wissenschaftlich fundiert und weit verbreitet ist. Soweit, so gut. Je nach Test-Variante ergeben sich allerdings unterschiedliche Ergebnisse. Im Gegensatz zum IQ lässt sich die Berufsorientierung leider schlecht messen. Das Problem ist: Wenn man nur einmal eine Testvariante, eben z.B. den SIT macht, weiß man nichts von den anderen Varianten und ihren Ergebnissen. Dazu kommt bei mir im Fall des SIT: Das Ergebnis wird nicht besser, egal welchen Filter ich wähle.

Der 90-Prozent-Filter, d.h. die Ergebnisse sollen zu 90 Prozent mit meinen Interessen übereinstimmen, ergibt einen Wust an Wirtschaftsstudiengängen. Häufig gepaart mit dem Ingenieur oder auch mal mit der Informatik. Schwer nachvollziehbar, welchen Antworten ich dieses Ergebnis verdanke. Mein Interessenprofil sieht das Unternehmerische knapp vorn. Knapp! Kein Grund, überall “Wirtschaft” davor zu schreiben.

Wo bleibt mein Leidenschaftsfach? Als ich vor 30 Jahren begann, mich für Psychologie zu interessieren, erglühte eine Liebe, die nie endete. Wo sind die bald 20 Jahre als Berufstätiger Psychologe geblieben, die mich seither sicher nicht weiter von meinem Lieblingsfach entfernt haben? Ich vermute, dass der SIT sie zusammen mit meiner minder stark ausgeprägten Neigung zum Sozialen begraben hat. Es hat sich wohl noch nicht herum gesprochen, dass man beispielsweise auch Wirtschaftspsychologie betreiben kann – da stände sogar “Wirtschaft-” davor …

Wenn ich den Filter auf 100 Prozent einstelle, wird nichts besser. Im Angebot: “Naturraum und Regionalmanagement” an der Hochschule für Forstwirtschaft. Wie der SIT darauf kam? Einfach nur rätselhaft. Ferner: “Nachhaltiges Management”, “Nachhaltige Entwicklung” und “Sozialökonomie” – das wars. Nichts davon spricht mich an.

Im Ernstfall hätte mich der SIT in die falsche Richtung geführt, weil er genau das nicht bietet, was eine Berufsorientierung leisten sollte: Ein breiter Einstieg ins Thema. Dass Mamas Bankkaufmann auch nicht besser ist, als die SIT-Ideen taugt als schwacher Trost.

Fazit: Der SIT sollte mit Vorsicht genossen und höchstens als eine unter mehreren Lösungen zur Berufsorientierung heran gezogen werden. Eine professionelle Beratung (mehr dazu hier) kann er keinesfalls ersetzen. Eine solche Beratung enthält selbstverständlich auch einen Berufsinteressentest – aber eben nur als ein Element.

Übrigens: Auf die Psychologie brachte mich ein Buch von Erich Fromm, das ich mehr oder weniger zufällig in der Schülerbibliothek fand. Zuweilen hilft gedrucktes Papier weiter.

Mein Buchtipp zum Thema: Svenja Hoferts “Am besten wirst du Arzt. So unterstützen Sie Ihr Kind wirklich bei der Berufswahl”.

Im Juni geht eine weitere Plattform (“blicksta”) online. Sie enthält nebem dem Interessen- auch einen Persönlichkeits- und IQ-Test, sowie weitere Dienste und ist auch für Ausbildungssuchende geeignet (hier gehts zur Beschreibung des Tests – die Beta-Version ist bereits verfügbar).

Aktualisierung: Inzwischen ist Blicksta online – hier mein Selbsttest.

Weiterführend: Meine 8-teilige Serie zur Berufsorientierung: Teil 1.

 

Nach oben